Zwangsmedikation, die Fixierung ans Bett: Manchmal brechen sie ohne Notwendigkeit den Willen von Psychiatrie-Patienten. In anderen Fällen retten sie aber deren Leben.

Susa war wegen starker Depressionen in psychiatrischer Behandlung. Als sie ihre Tabletten absetzen wollte, weil die ihren Kopf dumpf und leer gemacht haben, hat die Ärztin das nicht zugelassen. Stattdessen hat sie mit einer Zwangseinweisung gedroht. Die Begründung: "Fremdgefährdung". Susa hat die Tabletten weiter genommen.

Eine ähnliche Geschichte hat Lara unserer Reporterin Henrike Möller erzählt: "Mitpatienten wurde mit Gewalt gedroht, wir wurden alle einfach geduzt, man ist in der Willkür des Systems drinnen. Die Ärzte können mit einem machen, was sie wollen."

Damit sind Susa und Lara nicht allein. Schätzungen zufolge ist jeder zehnte der insgesamt 1,2 Millionen Psychatriepatienten in Deutschland schon einmal zwangsweise behandelt worden. Rund 420 psychiatrische Kliniken gibt es in Deutschland. Zwangsbehandlungen sind: Fixierungen, Zwangsmedikationen und Zwangseinweisungen - oft traumatische Erfahrungen für die Betroffenen.

"Es ist halt zu wenig an Fürsorge. Also Psychiatrie ist für mich ein rechtsfreier Raum. Die Ärzte können mit einem machen, was sie wollen."
Lara, Psychiatrie-Patientin

Grundsätzlich sind Zwangsmedikationen und -einweisungen in der Psychiatrie nicht erlaubt. Für beides müssen Ärzte einen Richter konsultieren. Der genehmigt beides nur, wenn nachgewiesen werden kann, dass der psychisch Kranke entweder für sich selbst oder für andere eine Gefahr darstellt.

Das ist häufig Auslegungssache, wie Jessys Geschichte zeigt: Sie hat in kurzer Zeit ihren Vater und ihren Stiefvater verloren. Das führte bei ihr zu einer Panikstörung, erzählt Jessy. Eines abends hatte sie Besuch von einem Freund. Als sie ihn plötzlich nicht mehr gefunden hat, bekam sie Angst, er könne tot sein. "Ich habe dann die Sanitäter angerufen, und die haben mich eingewiesen und mir mit Fixierungen gedroht, wenn ich die Beruhigungstabletten nicht nehme."

Die Würde des Menschen, das Recht auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit sind durch das Grundgesetz geschützt. Darum hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit Zwangsbehandlungen in mehreren Fällen als verfassungswidrig eingestuft.

Zwangsbehandlungen können Leben retten

Die größte Psychiatervereinigung Deutschlands argumentiert, dass Menschen mit Psychosen häufig extreme Wahrnehmungsstörungen haben und darum nicht mehr entscheidungsfähig seien. Manche Patienten glauben, sie könnten fliegen und darum unbeschadet von einer Brücke springen. In solchen Fällen kann eine Zwangsbehandlung Leben retten.

Darüber hat DRadio-Wissen-Reporterin Henrike Möller mit Katie aus Berlin gesprochen. Sie ist Anfang 30. In ihrer psychotischen Phase hat sie nicht mehr gegessen, getrunken und geschlafen. Heute sagt sie, dass sie nicht weiß, was mit ihr passiert wäre, wenn die Ärzte ihr nicht zwangsweise Medikamente verabreicht hätten.

Mehr Zeit und Personal für psychiatrische Kliniken

Henrike Möller sagt, dass sich Ärzte und Betroffene einig sind, Zwangsbehandlungen auf ein Minimum zu reduzieren. Dazu gehört, dass Psychiater Zeit haben, intensive Gespräche mit ihren Patienten zu führen. Nur so können sie herausfinden, was das Richtige für sie ist. Dafür fehlt psychiatrischen Kliniken häufig Personal und Zeit.

Shownotes
Psychiatrie
Mehr Zeit für Patienten, weniger Zwangsbehandlungen
vom 23. Februar 2017
Moderator: 
Thilo Jahn
Gesprächspartnerin: 
Henrike Möller